Höhere Fachschule für Sozialpädagogik

Interkulturalität in der Sozialpädagogik

Wenn wir von Diversität reden, ist sicherlich Kultur auch ein wichtiger Aspekt. Wir leben in einer multikulturellen Gesellschaft und sind täglich mit anderen Kulturen und Ethnien in Berührung. Dabei gibt es die willkommenen Seiten, wie die Vielfältigkeit in der Gastronomie oder Events und es gibt die herausfordernden Seiten wie z.B. in der Verständigung oder Pädagogik. Ein Erfahrungsbericht.

Datum
14. Dezember 2020

Warum ist das Thema Interkulturalität in der Sozialpädagogik wichtig?

Am 6. September fand der erste kulturspezifische Workshop an der HFS Zizers statt. Thema war «Interkulturalität in der Sozialpädagogik, Beispiel Sri Lanka.» Gemeinsam mit Andrea Grossen-Aerni, Dozentin HFS führte ich als Fachreferentin diesen Vormittag durch. Schnell merkten wir, dass unheimlich viele Fragen im Raum standen. In Kultur vereinen sich Aspekte wie Sprache, Religion, Nation, Wertvorstellungen, Sitten und Gebräuche oder sonstige Aspekte der Lebenswelt des Gegenübers bzw. des Anderen.

Genau dieses Anderssein sorgt für die spannende Vielfältigkeit unserer Gesellschaft und gleichzeitig für viele Fragezeichen.

Sie kennen das auch in der Partnerschaft oder Familie, wenn zwei verschiedene Meinungen aufeinanderprallen, wird es oft herausfordernd.

Wie ist es, wenn zwei Kulturen aufeinanderprallen?

Die eigenen Sichtweisen stufen wir als wahr ein

Oft neigen wir dazu, dass uns Vertraute, unsere Sichtweisen, als richtig oder besser zu deklarieren, denn schliesslich funktioniert dies in unseren Augen erfahrungsgemäss gut. So entsteht bewusst oder unbewusst eine Hierarchie, in welcher wir nicht mehr bemüht sind, das Fremde zu verstehen, sondern dass uns Bekannte mit einer Selbstverständlichkeit auf das Gegenüber anwenden. Wir beharren darauf, dass es doch nun funktionieren muss. Und genau dies führt auch zu interkulturellen Konflikten.

Das Fremde verstehen …

Es war spannend zu erleben, wie diese Aspekte im Workshop rege diskutiert wurden. Es ging z.B. um die Freizeitgestaltung in einer Familie. Hier in der Schweiz ist man es gewohnt recht aktiv mit den Kindern etwas zu unternehmen, sei es ein Gesellschaftsspiel oder Ausflüge in die Natur etc. In Sri Lanka hingegen, ist dies nicht die Norm.

Die meisten Familien in Sri Lanka kommen aus sehr einfachen Verhältnissen, es wird oft von der Hand in den Mund gelebt.

Dort spielt man nach der Schule mit den Nachbarskindern auf der Strasse, hilft auf dem Feld oder im Haushalt. Wenn die Familie etwas wohlhabender ist, geht man zur Nachhilfe und lebt diverse Hobbies. Diese Kultur ist geprägt von Leistung und Arbeit. Pädagogische Ansätze von sinnvoller Freizeitgestaltung kommen beim Gegenüber nicht an – es ist fremd und neu.

…und annehmen – ein Erfahrungsbericht

Aus meiner eigenen Kindheit hat mich das «Anderssein» stark geprägt. Ich hatte immer das Gefühl, ich müsste mehr tun und leisten, um gesehen zu werden, weil ich anders bin. Durch meine Optik sind meist schon bei den ersten Begegnungen diverse Bilder im Kopf – gewollt, aber auch ungewollt.

Als Jugendliche habe ich mich so geärgert, wenn mir jemand gesagt hat, «sag doch etwas in deiner Sprache» oder «wie ist es denn bei euch»?

Dabei bin ich als Baby mit meinen Eltern nach Deutschland gekommen und kenne meine Heimat gar nicht. Ich werde in solchen Begegnungen auf meine äusseren Merkmale reduziert und daran erinnert, dass auch ein akzentfreies Deutsch oder ein Pass dich nicht vor solchen und weiteren Kommentaren und Fragen schonen kann.

Sich selbst annehmen

Ich darf nicht (nur) von meinem Gegenüber erwarten, dass er oder sie mich so akzeptiert, wie ich bin, sondern ich muss mein Andersein erst selbst akzeptieren und annehmen – ohne Kompromisse. Stattdessen habe ich mich oft verglichen und fand alles an mir selbst fehlerhaft oder fremd. Aber Anderssein erfordert Mut. Sich in jeder Situation als Opfer darzustellen und alle Fehlschläge auf die Herkunft zu schieben, ist meines Erachtens nicht richtig. Ich hatte das Glück vielen tollen Menschen begegnet zu sein, die mich angenommen, begleitet und unterstützt haben, trotz und vor allem wegen meiner Herkunft und die in der Diversität Potential und Entfaltungsmöglichkeiten gesehen haben.

Interkulturalität: Bewusste Annahme der fremden Kulturen

Aus dieser Haltung ist der Kurs im Bereich Interkulturalität entstanden. Es war eine Chance die Diversitätslinie zwischen den beiden Kulturen etwas näher aneinanderzurücken und gegenseitiges Verständnis für das Fremde zu vermitteln, ohne sich selbst zu verstellen. Dabei habe ich nicht nur schweizer Fachleute in diversen Bereichen geschult, sondern auch meinen Landsleuten die schweizer Kultur und Gegebenheiten in anderen Kursen näher gebracht.

Der Mensch im Fokus – unabhängig von seiner Herkunft

Die Begleitung im pädagogischen Bereich ist sehr spannend, zumal da der Mensch im Fokus steht und das Individuum auch mit seinen Schwierigkeiten und Schwächen wahrgenommen wird. In unserem Pilotworkshop an der HFS haben die Teilnehmenden viele Aha-Momente erlebt, sie konnten das Erlebte und Nicht-Verständliche annehmen, auch wenn es nicht zum eigenen Weltbild passt.

Sie konnten reflektieren, welche Methoden und pädagogischen Ansätze für diese Kultur fremd sind und deswegen auch vom Gegenüber nicht wahrgenommen werden konnten. Ich finde es eine sehr wertschätzende Haltung, wenn sich Pädagoginnen und Pädagogen so intensiv mit anderen Kulturen beschäftigen, zumal es nicht ihr Kerngeschäft ist.

Das Ringen um das Verstehen des Weltbilds des Gegenübers ist der Anfang für eine gute Basis und fruchtbare Zusammenarbeit zwischen den Fachpersonen und Kindern, Jugendlichen und Familien.

Fazit

Das folgende Zitat trifft es meiner Meinung nach sehr gut:

Verständnis zu haben bedeutet nicht zu verstehen.

Beate Antonie Tröster

In diesem Sinne dürfen wir an der Vielfalt und dem Anderssein – egal in welcher Form – stetig wachsen und uns bereichern lassen, anstatt dies in Schubladen zu packen und zu hierarchisieren – dies erfordert Mut und Bereitschaft von allen Seiten, doch genau so ist aufbauende Interkulturalität erst möglich.

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