Höhere Fachschule für Sozialpädagogik

Bewegung und Tanz im sozialpädagogischen Kontext

Mit viel Freude hat Claudia Eckert die Verantwortung für die neu geschaffene Einheit «Bewegung und Tanz» übernommen, in welcher Theorie und Praxis verbunden werden. Hier ein kurzer Einblick in die Theorie – die Praxis mit allen Emotionen und persönlichen Erfahrungen muss selbst erlebt werden!

Datum
23. Juni 2023

Wer kennt es nicht: das gute Gefühl, das sich nach einer Runde Bewegung an der frischen Luft einstellt. Die Wangen durchblutet, die Lunge vollgepumpt mit Sauerstoff, die zufriedene Erschöpfung im Körper und die neue Klarheit im Gehirn. Jede Art von Bewegung tut uns Menschen gut.

Was ist Bewegung?

Sie kann für die eigene Psychohygiene oder zur Belebung des Alltags von Klientinnen und Klienten genutzt werden. Unter dem Begriff Bewegung werden sämtliche körperlichen Aktivitäten von der Alltagsbewältigung bis hin zu sportlicher Betätigung zusammengefasst.

Wichtigste Auswirkungen regelmässiger Bewegung

Physische Effekte:

  • Kräftigung der Muskulatur, dadurch: Stärkung des Bewegungsapparats, Vorbeugung von Haltungsschäden und Verletzungen, verbesserte Durchblutung des Körpers
  • Grössere Bewegungsamplitude durch verbesserte Beweglichkeit
  • Verbesserte Lungenkapazität, dadurch vertiefte Atmung und bessere Sauerstoffversorgung der Zellen
  • Schnellere Reflexe und Reaktionsfähigkeit
  • Regulierung der Blutzuckerwerte, dadurch vermindertes Risiko für Diabetes Typ 2
  • Hormonausschüttung und Nervensignale

Psychische Effekte:

  • Abbau von Stresshormonen Kortisol und Adrenalin, bessere Stressbewältigung
  • Ausschüttung von Botenstoffen: stimmungsaufhellende Endorphine, den Schlaf-Wach-Rhythmus, den Blutdruck und die Emotionen regulierendes Serotonin und Noradrenalin

Weitere Effekte:

  • Gesteigerte Konzentrationsfähigkeit, klareres Selbstbewusstsein/Selbstvertrauen
  • Möglichkeit zur sozialen Teilhabe
  • Gesellschaftliche respektive wirtschaftliche Aspekte: Regelmässige körperliche Betätigung wirkt präventiv den oben genannten Krankheiten entgegen und kann so mithelfen, die gesellschaftlichen Gesundheitskosten tief zu halten

Was ist Tanz?

Viele Menschen beschreiben Tanz wohl am ehesten als rhythmische Bewegung zu Musik. Tanz ist jedoch vielmehr: Kunstform, schweissreibende Sportart, Therapie oder ein gesellschaftliches Ereignis. Es geht um Volkstanz, Streetdance, Tanzimprovisation, Tango, Ballett und anderes – eine genaue Definition ist schwierig. Man sieht aber sofort, wann es sich um Tanz handelt: Die meisten unserer Alltags- und Sportbewegungen sind zweckgebunden und sollen eine Zielvorgabe erfüllen – Fortbewegung, Arbeit, Gestik und so weiter.
Tanz hingegen ist im wesentlichen Ausdruck eines inneren Zustands und hat eine spontane, spielerische Komponente. Im Tanzen lässt sich die Einzigartigkeit jedes Menschen entdecken. Die Tanzpädagogin Fiona Bannon bezeichnet Tanz als eine intellektuelle, körperliche und sensorische Reaktion auf die Erfahrung der Welt.

Was geschieht, wenn wir tanzen?

Wenn Meghan Trainor singt: «I feel better when I’m dancing», bringt sie damit auf den Punkt: Tanzen wirkt sich positiv auf die Stimmung aus. Voraussetzung dafür ist eine wertschätzende Atmosphäre, ein Ort, an dem wir uns sicher genug fühlen, um uns frei zu bewegen. Wo das gelingt, können Menschen im Tanzen heilsame Momente erleben, Freude, Kraft und Kreativität verspüren, belebende und regenerierende Erfahrungen machen.
Paartanz oder Gruppentanz ermöglichen zudem, durch das gemeinsame Erarbeiten und Erlernen einer Schrittfolge oder Choreografie, neue Erfahrungen der Zusammengehörigkeit.

Die Musik

Eine zentrale Rolle beim Tanzen kommt der Musik zu. Musik erreicht uns in unserem Innersten und bringt Körper, Seele und Geist in Verbindung. Sie erleichtert es uns, in Bewegung zu kommen, und bietet uns Halt und Inspiration fürs Tanzen.

Nutzen von Tanz für die Sozialpädagogik

Tanz ist allein schon deswegen für die Sozialpädagogik interessant, weil sich Angebote für jedes Level an Vorkenntnissen und Konstitution finden lassen. Viele Menschen, die wir in der Sozialpädagogik begleiten, leiden unter körperlichen, psychisch emotionalen und sozialen Einschränkungen und Wahrnehmungsstörungen. Gerade diese Menschen können durch einen Zugang zum Tanzen viel profitieren. Aus der Fülle an Vorteilen sind vor allem die folgenden für sie als besonders gewinnbringend zu bewerten:

Interozeption

Tanzen führt nachweislich zu einer bewussteren Wahrnehmung, der räumlichen Umgebung ebenso wie des eigenen Körpers. Dies wird als Interozeption bezeichnet, die massgeblich zur Bildung von Selbstbewusstsein, Empathie, prosozialem Verhalten und effizienter Entscheidungsfindung beiträgt.

Neuroplastizität

Beim Tanzen sind unterschiedliche Fähigkeiten gleichzeitig gefordert: Koordination, Intuition, Wahrnehmung im Raum, Rhyth musgefühl etc. All dies führt zur sogenannten Neuroplastizität, das heisst zur Fähigkeit, neue Verschaltungen im Gehirn zu bilden, die die Gehirnstruktur nachweisbar verändern. Dies ermöglicht Flexibilität in der Problemlösung und erhöht die Fähigkeit, neue Deutungsmuster und Strategien zu entwickeln. Untersuchungen zu diesem Thema legen nahe, dass sich die Anpassungsfähigkeit mittels Tanzens auf vergnügliche Weise steigern lässt.

Stressverarbeitung

Tanzen ist körperliche Aktivität, welche den Abbau der Stresshormone Cortisol und Noradrenalin begünstigt. Diese stressreduzierende Wirkung wird durch die Musik mit Rhythmus und Melodie sowie durch soziale Interaktion zusätzlich gefördert.
Diesen Phänomenen versucht die medizinische Forschung seit einigen Jahren mit zunehmendem Interesse auf die Spur zu kommen. Es werden Hirnströme und Hormonkonzentrationen gemessen, um die komplexen Auswirkungen des Tanzens zu dokumentieren. Ein spannendes Forschungsgebiet für die einen – ein Geschenk des Himmels für die anderen.

Beim Tanzen mache ich mir jedoch keine Gedanken über diese Vorgänge in meinem Gehirn. Wenn ich tanze, dann tanze ich einzig und allein, weil es mir enorm viel Freude macht.